von K.-P. Ludwig (DGLR FB R2), Prof. Klaus Briess (TU Berlin), Prof. Enrico Stoll (TU Braunschweig)
Seit 2 Jahren findet im Rahmen der DGLR Jahrestagung ein interaktiver Workshop statt, der sich den zukünftigen technischen und programmatischen Herausforderungen der Raumfahrt widmet Professoren deutscher Raumfahrtlehrstühle stellen aktuelle Entwicklungen ihrer Institute vor und skizzierten anhand der Projekte mögliche Trends, welche evtl. Einfluss auf die deutsche Beitragsfähigkeit im internationalen Raumfahrtgeschäft haben könnten. 2016 lagen die Schwerpunkte der Präsentation bei der Erdbeobachtung, der Kommunikation und der Raumfahrtrobotik. Nachstehende Zusammenfassung der Ergebnisse beruht auf den Beiträgen von Prof. Klaus Briess von der TU Berlin und Prof. Enrico Stoll von der TU Braunschweig, mit deren Hilfe nachstehende Zusammenfassung der Workshop-Ergebnisse entstand:
1. Die Aussage, dass sich jedes Raumfahrtengagement hoheitlicher wie privater Investoren immer an den Bedürfnissen der Märkte resp. der Forschung messen lassen muss, bleibt auch vor dem Hintergrund der NewSpace Entwicklungen gültig.
2. Bei den abbildenden Systemen der ERDBEOBACHTUNG gehen die Trends weiter in Richtung höchster Auflösung und kurzer Wiederholungszeiten (repetition rate). Dies wird einerseits mit innovativer Sensorik, andererseits mit Satellitenkonstellationen (z.B. Dove, Spire) zu erreichen versucht. Neue Techniken, neue Anbieter, neue Betreiber und Eigner treiben auch eine endkundenorientierte Weiterverarbeitung am Boden voran, die einen zunehmend bedeuteten Teil der Wertschöpfungskette darstellt.
3. Tragfähige Märkte in der Erdbeobachtung können sich dann entwickeln, wenn die gesamte Wertschöpfungskette, d.h. die Datenakquisition, der Transport, die Speicherung und Archivierung , die Datendistribution, die „Veredlung“ zu einem Produkt – durch Verschnitt mit anderen Informationen etc. … bis zur kundenspezifischen Datendarstellung auf speziellen Endgeräten, „systemisch“ Berücksichtigung findet und Latenzzeiten minimiert werden. Auch hier ist damit zu rechnen, dass spezielle Kundenbedürfnisse die Entwicklung von Standardprodukten verhindern.
4. Hohe Startkosten lassen sich durch lange Lebensdauer eines Satelliten leichter amortisieren. Im Zusammenhang mit den zunehmend kürzer werdenden Entwicklungszyklen auf der S/W-Seite werden daher hoch-flexible IT-Komponenten an Bord der Satelliten benötigt, die in der Lage sind kontinuierliche S/W-Updates zu akkommodieren.
5. Satellitenkonstellationen (150 Satelliten bei Dove…900 bei OneWeb …4000 bei SpaceX) werden aus Kostengründen neue Ideen/Verfahren für die Fertigung/Kleinserienproduktion und das Satellitendesign (z.B. ReDSHIFT der TU Braunschweig) erzwingen. Des Weiteren muss ein Umdenken in den Methoden der Missionszuverlässigkeit erfolgen, da Satelliten nicht mehr als Unikate behandelt werden können (siehe MiRel der TU Braunschweig). Leichte Strukturen lassen sich heute mit ALM- und 3-D-Druckverfahren herstellen, während beim Design standardisierte Bausteine ins Gespräch gebracht werden. Zusammen mit der Miniaturisierung und dem Digitalisierungstrend (z.B. autonome, flexible Subsysteme – in die Building Blocks integriert) werden die o.g. Entwicklungstrends mit noch unklaren Wechselwirkungen kleine, leichtere und kostengünstige Satelliten hervorbringen, die auch individuelle Kundenwünsche berücksichtigen können.
6. Bei den intelligenten Satellitenbausteinen (Building Blocks, z.B. iBOSS der TU Berlin) – die evtl. als austauschbare ORU´s entworfen werden könnten (Orbit Replacement Units) – werden zuverlässige, standardisierte Schnittstellen benötigt, die über ein Interface mechanische, elektrische und thermale Verbindungen herstellen. Die Funktionalität der Schnittstellen bestimmt den Erfolg der modularen Bauweise. Ein Standard ist noch zu definieren.
7. Die Miniaturisierung wird künftig auch die Integration mehrerer Komponenten auf kleinstem Raum, z.B. in einer Ebene auf einer Satelliten-Wand, erlauben. TU Berlin arbeitet beispielweise an der Integration von mehreren Komponenten in einer Unit (Solar Array, Sun Sensor und Magnetspule und S-Band-Antenne in einer CubeSat-Wand). Der Trend unterstützt die Entwicklungen (3-D-Druck, Digitalisierung, Building Block Design) und wird ggfs. die Rolle heutiger Zulieferer in Richtung auf Teilsystem-OEMs mit höherer Designverantwortung verändern (mit entsprechenden Folgen für die Rolle der System-Primes).
8. Die Möglichkeit zur kostengünstigen Fertigung kleiner und kleinster Satelliten führt ihrerseits zur Konzeption größerer Satellitenkonstellationen (z.B. One-Web etc.), die z.Zt. für -Erdbeobachtung- und Kommunikationsaufgaben entwickelt werden. In einem nächsten Schritt werden Aufgaben klassischer Satelliten von einem kleinen Schwarm von Nano-Sats erfüllt werden können, die per Inter-Satellite-Link im Formationsflug arbeiten (SNET Projekt der TU Berlin). Vorstellbar ist hier u.a. die Teilung der Funktionen auf diverse Nano-Satelliten-Busse (z.B. im Wissenschaftsbereich) oder die Ausrüstung der Busse mit diversen Sensoren (in der Erdbeobachtung).
9. Die oben genannten Trends führen in Summe zu einem rapiden Anstieg der Anzahl operativer Objekte (im Wesentlichen in Low Earth Orbit). Um in Zukunft einen sicheren Betrieb der Satelliten aufrecht halten zu können, wird bereits heute über die Definition eines „Space Traffic Management Systems“ nachgedacht (jüngste NASA-Überlegungen).
10. Weiterhin wird die Notwendigkeit immer deutlicher, dass es a) eine operative Fähigkeit für eine sichere „Weltraumschrott“-Entfernung (debris removal) geben muss, bzw. b) zukünftig die sichere Entsorgung eines Satelliten am Ende seiner Lebensdauer (z.B. Wiedereintritt nach 25 Jahren resp. Friedhofs-Orbit) gesetzlich bei neuen Projekten vorgeschrieben wird (Weltraumgesetz). Der Ausbau der Überwachung des nahen Erdorbits resp. der dort kreisenden Trümmerstücke (space situation awarness) muss elementarer Bestandteil dieser Strategie werden.
11. Auf der Hardware-Seite werden die Umgebungsbedingungen auch das bereits adressierte Satellitendesign beeinflussen, bei dem durch geeignete Schutzmaßnahmen die Ausfallwahrscheinlichkeit durch einen Debris-Vorfall reduziert wird.
12. Bei der Altlastenentsorgung (vom kompletten System bis zum kleinsten Schrottpartikel) werden robotische Systeme eine wesentlichen Rolle spielen (einfangen, greifen, docken, ,..), wobei die Charakteristik jedes einzufangenden Objekts spezielle Fähigkeiten des Robot Systems verlangt. Z.Zt. wird z.B. bei der TU Braunschweig untersucht, wie hierzu synthetische Adhäsion genutzt werden kann (bionische Adaption der Gecko-Lauffähigkeit).
Insgesamt zeigte sich, dass es im nationalen Rahmen viele zukunftsweisende Innovationen gibt, deren Kommerzialisierungspotenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist.
Update März 2018