Niemand hatte danach gefragt, in die Vergangenheit zu reisen. Aber die Zeitmaschine war schon gestartet. Damals. Niemand hatte darum gebeten, sich an tausende schwarz-weiße Erinnerungen in Farbe zurückzuerinnern. Aber der Farbdruck war schon erfunden …und das permanente Wirtschaftswunder auch. Damals. Niemals hatte die „Stunde Null“ geschlagen. Aber sie wurde trotzdem gefühlt. Damals. Gegen heute. Gegen die Gegenwart. Gegen ein Jetzt, in dem wir eine zu perfekte Digitalisierung mit falschen Informationen füttern. Eine Welt, in der sich zu viel zu schnell verbreitet. Ein Blitzkrieg mit der Menschheit.
Wir stehen dazwischen. Auf dem Schlachtfeld. Haben Krieg, Krankheit und Krisensturm hinter uns. Aber am Ende wiederholt sich alles. Am Ende werden wir doch so wie unsere Eltern. Oder deren Vorfahren. Das ist der Parallelismus unserer Generation. Das, was bleibt, ist das, was passiert. Das, was sich ändert, ist das, was nicht passiert.
Aus unseren Geschichtsbüchern sind die Worte, die einstmals leer waren, auferstanden. Aus verstaubten und vergilbten Seiten. Sie haben den eisernen Vorhang zurückgezogen, um eine Mauer zu enthüllen. Aus unrealistischen Ursachen sind die Ursachen der Realität geworden. Sie wirken beinahe banal im Strom der Massenmedien. Siebenundfünfzig Sekunden pro Nachricht. Aus Auslösern sind ausgelöste Alarme geworden. Plötzlich ist genug Geld da. Plötzlich kann man auch am Sonntag arbeiten. Plötzlich kann der Notstand den Stand der Not nicht mehr darstellen.
Das ist, wenn Damals vor der Haustür steht. Und geklingelt hat. Es wurde aufgemacht und diese eine Tür, die geöffnet werden musste, um alle Lichter des Hauses erleuchten zu lassen, kann nicht mehr geschlossen werden. Bis sie verriegelt wurde.
Wir haben über Menschlichkeit gesprochen. Vielleicht hätten wir über Unmenschlichkeit sprechen sollen. Wir haben über Demokratie philosophiert. Vielleicht hätten wir über Diktaturen philosophieren sollen. Wir haben uns selbst beklagt. Vielleicht hätten wir die anderen beklagen sollen. Vielleicht hätten wir die grauen Beschreibungen als Warnung nehmen müssen. Aber irgendwann wiederholt sich alles. So wie die Worte. Die Zeilen hier. So nichtig und gleichzeitig wichtig. Darüber zu reden. Dass wir in der Situation sind, in keiner Situation zu sein. Nachrichten prasseln auf uns ein. Keiner weiß, was man wissen sollte. Keiner kann in die Zukunft sehen. Auch das Ende einer Analyse nicht. Keiner kann die Zeit zurückdrehen.
Das hier, schwarz auf weiß, ist wie ein Film. Der falsche. Er ist weder gut noch schlecht. Er ist ein bedrücktes Gefühl, das dich überall hin begleitet. Dich verfolgt. Wie ein Schatten. Geflüstert durch das Autoradio. Gelesen durch die Onlinenachrichten. Gehört durch die sich weiterdrehende Welt.
Fünf Tage. Eine Woche. Alltag. Früher. Heute, fünf Tage später, sind sie zertrümmerte Straßen, zerbombte Häuser und hilfesuchende Flüchtlinge. Sie sind 120 Stunden, in denen eine SMS hätte ankommen sollen. Das Telefon, das nie abgenommen wurde, klingelt immer noch. In Gedanken. In der Seele. Ein unendlicher Widerhall eines unverdienten Schicksals. Das ist schicksalhaft. Es ist Krieg. Einer, der mit dem Leben in einer falschen Vergangenheit gerechtfertigt wird. Dort haben sich weiße Männer die Hände geschüttelt und versprochen nie wieder einen atomaren Konflikt zu beginnen. Jahrzehnte nach diesem Versprechen sind wir daran vorbei. Von wegen aus der Geschichte lernen. Wir lernen nur sie zu beurteilen. Fehler werden uns in Notenpunkten abgezogen, nicht mit dem Leben.
Gerade sind wir ein Kollektiv aus Unwissenden, die versuchen, sich mit der Tagesschau auf dem Laufenden zu halten. Wir sind eine Gemeinschaft aus Konsumenten. Ein Zusammenschluss aus Individuen, die sich alle individuell gestalten. Alle gleich. Wir fordern Veränderung, wo es längst zu spät ist. Warten auf Briefe von längst Verstorbenen. Wir sitzen vor riesigen Glasscheiben und sehen Menschen die Realität realisieren. Menschen, die nie durch solch ein Fenster gesehen haben werden, wie wir es gerade tun. Menschen, die Angst haben, rauszugehen. Die Angst haben, zu schlafen. Angst haben, von der nächsten Bombe getroffen zu werden. Oder der nächsten.
Auf dem Sofa im Warmen sitzend, können wir vermeintlich nichts tun, außer nicht zu wissen, was zu tun ist. Wir sind erstarrt im Augenblick dieses Schreckens. Können nicht glauben, dass die Bilder an der Wand tatsächlich Wirklichkeit sind. Wir reden über all die Dinge, die schon geschehen sind. Über all die Dinge, die noch nicht geschehen sind. Wir besprechen 1.000 Maßnahmen, die alle nicht helfen werden, wenn keiner mit einer beginnt. Wir schicken 10.000 Soldaten, die nicht kämpfen wollen. Senden 100.000 Waffen, die keinen Frieden bringen. Wir sammeln 1.000.000 Euro Schulden für den Untergang der Welt. Aber wir wollen nicht die letzte Seite lesen. Wir können handeln. Wir versetzten Berge und begeben uns selbst zum Protestmarsch. Bei Regen. Wir ermöglichen Möglichkeiten, die davor nicht möglich waren. Als die verdorrende Erde zu Glühen begann und die Menschheit vertrocknete. Irgendwann sterben wir sowieso alle. Warum also nicht jetzt?
Ganz einfach: Weil die Menschheit noch etwas von da draußen mitnehmen muss, bevor sie ins Gras beißt. Solange es Menschen gibt, wird es Krieg geben. Und die Gründe dafür. Denn wir sind es, die kriegerisch Krieg führen. Und ihn unterstützen. Solange es Menschen gibt, wird es Diskriminierung und Ungleichheiten geben, denn das hat sich nicht von selbst erfunden. Solange es Menschen gibt, wird es Probleme geben. Krieg sollte keines davon sein. Denn erhobene Waffen sind für alle ein Problem. Für jeden Einzelnen. Für einzelne Völker. Für jede Art von Minderheit, die man dann mit einschließt, wenn man aufhört, sie als Minderheiten zu bezeichnen. Denn wir sind alle nur Menschen. Nicht mehr und nicht weniger.
Vielleicht wird das irgendwann irgendwo in einem Geschichtsbuch stehen. Material 593. Vielleicht werden sie eines Tages darüber reden und die 10.000.000 Bedingungen mit dem einen Gegenargument entkräften. Vielleicht wird Damals in fünf Tagen wieder damals sein.